Gerade Besitzer mit Hunden, die sonst zu Pöbeleien gegenüber fremden Hunden oder Menschen neigen, machen sich diese aus ihrer Sicht harmlose aber effektive Ablenkung ihres Hundes zu nutze. Doch was kann dahinter stehen, und wann ist es ein normales Ballspiel zwischen Mensch und Hund, wogegen ja erst einmal nichts einzuwenden ist und ab wann muss man von einem Suchtverhalten des Vierbeiners sprechen.
Generell ist jede Beschäftigung mit dem Hund in Maßen und ohne Leistungsdruck positiv. Es stärkt Bindung zwischen Mensch und Hund, gemeinsam zu spielen macht Spaß. Deswegen sind die meisten Ballspiele harmloser Natur. Doch in manchen Fällen kann es zu massiven Verhaltensstörungen beim Hund kommen, da das Ballspiel durchaus auch aus hundlicher Sicht Jagdsequenzen enthält. Fatalerweise ist es eine selbstbelohnende Reaktion des Hundes.
Doch wann erkennen wir, wann es sich um ein ganz normales Spiel des Hundes handelt und wann erste Anzeichen eines Suchtverhaltens erkennbar sind. Schauen wir uns hierzu den Funktionskreis des Jagens näher an. Dieser besteht aus folgenden Verhaltensweisen, die bei jedem Hund gleichermaßen ablaufen und gut zu beobachten sind: Orientieren, Fixieren, Anpirschen, Hetzen, Packen, Töten, Fressen.
In der Natur ist es für einen Beutegreifer essentiell, diese immer gleiche Schema bis zum Erlegen der Beute zu vollziehen. Hier füllt niemand den Napf. Deswegen gehört das Jagen auch zur – wie Fressen und Fortpflanzung – zur Primärmotivation (andere Fachbücher sprechen auch von der Appetenz) des Hundes. Da sämtliche Ballspiele, aber auch das Spielen mit Stöcken oder an der Reizangel Jagdsequenzen simulieren, schüttet der Körper zwei verschiedene Hormone aus, um die körpereigene Leistung zu erhöhen. Ein Cocktail aus Dopamin und Adrenalin kommen ins Spiel. Das körpereigene Belohnungssystem wird aktiviert. Der Hund hat Spaß dabei, was in der Regel auch gut ist, langfristig aber ein unerwünschtes Suchtverhalten provozieren kann.
Das sind dann die Hunde, die kläffend, jaulend oder gar schreiend vor ihren Besitzern herumtanzen oder diese anspringen, bis das vermeintliche Jagdobjekt neu geworfen wird. Das ist auch der Grund, warum in meinem Training zur Umleitung des Jagdtriebes der Futterbeutel normalerweise nicht geworfen wird. Nur in einem Fall: Wenn das Reh vor mir steht, der Hund beim Abruf zu mir kommt. Dann wird der Futterbeutel tatsächlich als Beuteersatz in die andere Richtung geworfen. Bringt der Hund ihn, darf er anschließend auch daraus fressen. Denn beim Fressen schüttet der Hund Endorphine aus und die reduzieren das „aufgeputschte“ Dopamin im Körper von selbst.
Besonders anfällig für diese Form der „Ballsucht“ sind alle Rassen, die zum Jagen herangezüchtet worden. Terrier, vom Yorkshire Terrier bis zum „Amstaff“, aber auch Hütehunde (Border Collie, Australian Shepard, Schäferhunde) aber auch der kleine Dackel von nebenan können diese Sucht, die meist in der Junghundzeit entsteht, entwickeln.
Woran erkennst Du, dass Dein Hund Suchtverhalten zeigt?
Sobald er den Ball erblickt, reagiert er sehr aufgeregt, hüpft neben Dir her, fixiert dabei das Spielzeug
Keine Wahrnehmung mehr der Außenwelt, der Hund interessiert sich nicht mehr für andere Menschen, Hunde oder Wildtiere
Wer den Ball wirft, ist sein Freund. Es ist ihm egal, wer es tut, Hauptsache es fliegt etwas.
Keine freiwillige Beendigung des Spieles von Seiten des Hundes
Erkennst Du das vermeintliche Spielverhalten Deines Hundes wieder? Wenn ja, solltest Du handeln. Denn dieses Suchtverhalten behindert eine gesunde Mensch-Hund Beziehung. Zumal des das Jagdverhalten Deines Hundes ungünstig beeinflussen kann und er plötzlich auch anderen Dingen hinterherhetzt. In der Regel sind das gerne Autos, Motorräder, Jogger oder rennende Kinder. Generell reagiert ein Balljunkie auf alle schnellen Reize. Das können dann auch Insekten wie Bienen oder Wespen sein, die er versucht zu fangen. Auch können sich diese Hunde schlecht auf etwas anderes außerhalb ihres Beutefangverhaltens konzentrieren, da sich daraus eine selbst belohnende Handlung entwickelt hat und es auch immer höherer Dopaminkonzentrationen bedarf, um den sogenannten „Suchtdurst“ zu stillen. Der Hund hat am Ende keinen freien Willen mehr und ist regelrechtes Opfer seiner Sucht.
Was kann man tun?
Niemals sollte man einem solchen Hund seinen Ball verwehren. Dies käme dem kalten Entzug eines Drogenabhängigen gleich und der Hund hätte tatsächlich auch ähnliche körperliche Schmerzen wie ein Heroinabhängiger bei einem kalten Entzug. Daher sollte der Hund quasi warm unter fachgerechter Anleitung eines Hundetrainers entzogen werden. Parallel hierzu sollte man dem Mensch-Hund Team eine Umleitung des Jagdtriebes beibringen, so dass der Hund trotzdem seinem liebsten Hobby – Jagen – nachkommen kann, aber des Funktionskreis auch bis zum Ende, also bis zum Fressen kontrolliert mit seinem Besitzer durchleben darf. Wie das geht, und wie man den warmen Entzug auch phytotherapeutisch unterstützen kann, zeige ich euch gerne in einem Einzelcoaching.
© Marie-Louise Herrmann
hundgerecht – mit Herz und Verstand