Ein sicherer Abruf ist für uns die Versicherung, dass ich meine Hunde in jeder Situation kontrolliert abrufen kann. Ich gebe zu, dass ist derzeit bei zwei meiner Hunde möglich, dafür aber auch in jeglicher Situation. Sogar wenn uns 20 Meter voraus im Wald Rehe unseren Weg
kreuzen, sind Candie und Amie sogar aus der Hatz mit einem Kommando abrufbar. Das ist natürlich der Traum eines jeden Besitzers, der eine jagdambitionierten Hund hat. Und auch wenn Candie und Amie aufgrund ihrer Größe nur knapp dem Handtaschenformat entwichen sind, stecken in ihnen waschechte Terriergene, was bedeutet, sie sind astreine Jäger. Da ich mit ihnen stark an der Umleitung ihres Jagdtriebes gearbeitet habe, fühlen wir uns nun auch im Wald bei Begegnungen mit dessen Bewohnern sicher. Mit Moonie müssen wir da noch üben, aber auch ihr Abruf wird trotz der pubertätsbedingten bunten Knete im Kopf, zuweilen in allen Regenbogenfarben, immer sicherer, so dass ich gute Chancen sehe, dass auch sie eines Tages völlig frei laufen kann. Raiko hingegen wird immer an der Leine abgesichert. Ich muss leider immer damit rechnen, dass uns ein Mountainbiker begegnet, der entweder unbemerkt von hinten angeschlichen kommt oder aus dem Busch stürzt. Da ich bei ihm aufgrund seiner Herdenschutzgene und der damit verbundenen Xenophobie (Misstrauen gegenüber allem Fremden) nicht ausschließen kann, dass er in einem Schreckmoment den Biker attackieren würde, läuft er im Wald an der Leine, darf aber, wann immer ich im Garten bin, seinen Freilauf genießen. Aber zurück zum Thema.
Immer wieder tritt in Kundengesprächen die gleiche Frage auf: „Kannst Du Deinen Hund sicher zurückrufen?“ Nicht selten wird dies mit einem „ja, aber …“ und dann folgen die Situationen, in denen der Vierbeiner eben nicht sofort zur Stelle ist, beschrieben. Das ist aber weder Fisch noch Fleisch und letztendlich hat mir meine Hündin Amie vorgemacht, was ein perfekter Abruf unter Hunden ist (siehe Video). Moonie und Candie haben im Garten gespielt, Amie bewachte den Zaun, in der Erwartung, ob da vielleicht nicht doch ein in ihren Augen ungebetener Artgenosse zumindest ihr heißgeliebtes Terrain tangierte. Da mein Kleinod tatsächlich an eine viel belaufene Gassistrecke grenzt, ließ der vermeintliche Eindringling natürlich nicht lange auf sich warten. Es genügte ein Laut von Amie, Moonie und Candie unterbrachen ihr Spiel sofort und eilten Amie „zu Hilfe“. Also Amie hatte aus einer Spielsequenz die beiden abgerufen. Könnt ihr das auch?
Zugegebenermaßen ist das in meiner Hundeschule in der Junghundgruppe eine Abitursaufgabe, verdeutlicht aber vielleicht, wie hoch mein Anspruch an einen sicheren Abruf ist. Denn er muss in jeder Situation möglich sein. Nur dann kann ich von meinem Hund ohne wenn und aber sagen: „Ja; er ist abrufbar.“ Um dieses Ziel zu erreichen, fangen wir in der Welpengruppe bereits spielerisch an. Wenn ich mit meinen Hündinnen einen Wurf großziehe, beginnt das Training bereits, sobald die Kleinen die Augen öffnen und beginnen die Umgebung außerhalb ihrer Wurfbox zu erkunden. Es ist ein einfacher Laut, aber immer der Gleiche; und die Kleinen stürmen auf mich zu. Später in der Welpengruppe, wenn die Hunde bereits ihren Namen kennen, verknüpfe ich das mit einem Kommando, wie z.B: „hier“. Ich weiß, dass so manche Hundeschule das anders praktiziert, aber ich benutze den Namen für die Aufmerksamkeit und das Kommando, damit der Hund weiß, was ich von ihm will. Für mich plausibel und ich habe gute Erfahrungen damit gemacht. Kommt der Hund beim ersten Abruf sofort auf direktem Weg, gibt es dafür eine Belohnung in Form eines Leckerlies. Hierfür verwende ich gerne ein sogenanntes Jackpotleckerlie, um die Motivation des Hundes zu kommen und die anschließende Bestätigung, dass es sich absolut lohnt zu kommen, hoch zu halten. Je mehr sich das im Hund manifestiert hat, umso stärker werden die Leckerlies wieder ausgeschlichen. Eine verbale Bestätigung in Form von „hast du gut gemacht“ erfolgt allerdings immer.
Merke: Egal, wie ihr euren Abruf gestaltet, wichtig ist einfach eine klare Kommunikation, sprich, der Hund weiß, was er tun soll und eine positive Bestätigung sollte erfolgen. Definiert eine klare Reihenfolge. Eine Belohnung gibt es nur, wenn der Hund direkt bei euch ist und ihr ihn ggf. auch anleinen könnt. Nie auf den Hund zugehen. Das würde in ihm assoziieren, dass es ggf. auch reicht, Kommunikation mit euch aufzunehmen. Das ist aber kein sicherer Abruf. Ein sicherer Abruf bedeutet, dass er auf direktem Weg, den Augenkontakt zu euch haltend, kommt und ihr ihn dann auch sicher anleinen könnt.
Des Weiteren sollte euch bewusst sein, dass das Abrufkommando für den Hund meist aus einer Situation kommt, die für den Hund sehr spannend ist, z.B. eine Begegnung mit einem Artgenossen, anderen Menschen, Schnüffeln am Boden, spielen mit einem anderen Hund oder Jagen kommt. Die Motivation eures Hundes dann sein Handeln zu unterbrechen und wirklich zu euch zu kommen, muss daher echt hoch sein und es muss sich für den Vierbeiner wirklich lohnen, zu euch zu kommen. Ein Leckerlie als Belohnung (Jackpot) kann eine sehr hohe Motivation sein, aber auch die echte Freude der Bezugsperson darf dabei nicht unterschätzt werden. Wenn mir ein Abruf bei meinen drei Hunden gleichzeitig gelingt, feier ich im übertragenen Sinne eine echte Party. Belohne sie, herze sie aber auch mit meinen Blicken und gebe ihnen ein durchweg positives Feedback. Mindestens zehn Sekunden, damit meine Hunde lernen, der Abruf lohnt sich wirklich, und macht mindestens genauso Spaß, wie die Situation, aus der ich abgerufen habe.
Was war ich stolz, als Moonie vor einigen Wochen die Wildgänse, die ich zu spät bemerkte, stehen ließ und sofort zu mir zurückrannte oder als Amie und Candie nicht den Rehen hinterherhetzten, als diese 20 Meter vor uns den Waldweg kreutzen und beide, selbst in der Hatz (Funktionskreis Jagen/Beutefangverhalten) auf mein Signal umdrehten und zu mir kamen. Solche Erlebnisse geben uns die Sicherheit, dass der sichere Abruf wirklich sitzt und wir unsere Hunde auch im Wald im direkten Wirkungskreis ableinen können. Außer es handelt sich um ein Naturschutzgebiet, da ist es in Baden-Württemberg verboten.
Gerne könnt ihr auch den sicheren Abruf durch eure Körpersprache unterstützen. Achtet auch auf die Betonung in eurer Stimme. Ein gelassenen „hier“ klingt anders als das „hier“, dass ihr in aufgeregter Situation von euch gibt. Versucht beim Abruf immer „cool“ zu bleiben. Unsere fein sensiblen und sehr gewieften Vierbeiner können das unterscheiden, und ein sehr hohes „hier“ kann für den Hund auch das Signal sein, doch nochmal genauer nachzuschauen, bevor er zu euch kommt, ob der Hase nicht doch noch irgendwo aus dem Gebüsch hoppelt. Falls das nicht gut funktioniert, könnt ihr über den Einsatz einer Pfeife nachdenken. Denn diese gibt immer den gleichen Ton ab und ist damit völlig emotionslos und wird vom Hund als neutral bewertet.
Was ich auch sehr oft beobachte ist, dass der Hund bei seinen Spaziergängen keine Abwechslung oder Spaß hat. Deswegen haltet eure Hunde auch mental bei euch, kein Telefonieren oder aufs Handy schauen sollte in eurer Qualitytime erfolgen. Das merkt eurer Hund sofort und beginnt dann auch, etwas für sich zu machen. Schnüffeln auf dem Boden oder Löcher buddeln (beides Jagdverhalten) gehören dazu. Macht euch auch auf Spaziergängen immer wieder spannend und entdeckt gemeinsam die Umgebung. Seid ein Team anstatt gelangweilt nebeneinander herzutrotten. Er soll gerne bei euch sein, und nicht irgendwo anders, vielleicht sogar mit Dingen wie Jagen beschäftigt, was schon im Orientieren anfängt, in denen der Abruf, sofern nicht souverän trainiert noch viel schlechter funktioniert. Haltet ihn in einer Art Verbindung. Ich gebe z.B. jedes mal ein positives verbales Feedback, wenn meine Hunde mich anschauen. Das musst nicht immer frontal sein, achtet auf die kleinen Seitenblicke, die euch von euren Fellnasen geschenkt werden.
Und last but not least: Baut den sicheren Abruf levelartig auf. Wie schon im Text erwähnt, gleicht ein Abruf aus der Hatz, am besten noch, wenn ein Artgenosse dabei ist, einer Abitursaufgabe. Baut eine Trainingsstruktur auf. Der kleine Welpe ansich, lernt bei mir den sicheren Abruf erst einmal zu Hause, in seiner gewohnten Umgebung. Funktioniert der, versuchen wir es im Garten. Wenn es dort klappt, beim Spazierengehen, dann z.B. beim Spielen mit anderen Hunden, beim Schnüffeln an einer interessanten Stelle etc. Bitte gebt das Signal nur, wenn ihr wirklich davon überzeugt seid, dass euer Vierbeiner definitiv auf direktem Weg zu euch kommt. Ansonsten lauft ihr Gefahr, dieses sehr wichtige Signal, auf dass eine direkte Handlung von Seiten eures Hundes ohne wenn und aber zu erfolgen hat, bedeutungslos macht. Gleichzeitig achtet ihr dann auch automatisch darauf, dass der Abruf nicht einer Abitursaufgabe gleichkommt, sondern auf dem Lernlevel eures Hundes erfolgt. Und so lange der Hund nicht sicher abrufbar ist, geht er bei mir an Geschirr und Schleppleine, niemals am Halsband, da es durch einen intensiven Ruck zu schlimmen Verletzungen der Halswirbel kommen kann.
Nun habe ich euch die wichtigsten Tipps für den sicheren Abruf gegeben. Allerdings empfehle ich gerade Hundeanfängern ein Einzelcoaching, in dem wir noch einmal ins Detail (Körpersprache, intermediäre Brücke, Jackpotleckeries, Länge der Schleppleine etc.) gehen können. Und dann heisst es üben, üben, üben.
Herzlichst Marie-Louise Herrmann
© Marie-Louise Herrmann
hundgerecht – mit Herz und Verstand